Vor 50 Jahren, genauer am 4. November 1971, ereignet sich in Österreich ein Gefängnisausbruch, der Geschichte schreibt – nicht nur wegen des legendären »I-bin’s-dei-Präsident«-Sagers, mit dem der damalige Polizeipräsident die Delinquenten zur Aufgabe überredet. Adolf Schandl, einer von ihnen, sitzt wegen mehrfacher Raubüberfälle und Mordversuche in Stein, ein damals »brandgefährlicher Mann«, wie den heute über 80-Jährigen ein Bekannter charakterisiert. Nach einem Leben geprägt von langen Gefängnisaufenthalten und spektakulären Fluchtversuchen zieht es den seit 2012 Entlassenen auf seine alten Tage ausgerechnet in die ehemalige Strafkolonie Australien.
Adolf Schandl: Der Pensionist, Stein-Ausbrecher, Bankräuber, Karlau-Geiselnehmer hat 40 Jahre Gefängnis und viele gescheiterte Ausbruchsversuche hinter sich. Nun hat er seinen größten Coup vor. Mit achtzig Jahren versucht der Junggebliebene endlich seinen Lebenstraum zu realisieren. Er will nach Australien. Sein Sehnsuchtland, in dem das Leben schön und er ein guter Mensch war. Doch vierzig Jahre Gefängnishaft verursachen Probleme mit dem Visum. Stück für Stück wächst aus den vermeintlichen Putzigkeiten des älteren Herrn ein verknotetes Gebilde: Bedenklich routiniert ist sein Umgang mit Wahrheitsverdrehungen, bizarr seine Definition von Recht und Unrecht. Ein pointiertes Porträt voller Aberwitz, ein Stück österreichischer Kriminalgeschichte. Doch um nach Australien zu kommen muss er auch aus seinem eigenen Gefängnis ausbrechen. Schandls letzte und schwierigste Flucht. Wird sie ihm gelingen?
“I’m a bad guy” von Susanne Freund über den Bankräuber und Geiselnehmer Adolf Schandl ist keine einfache Doku. Der 92 Minuten Denkanstoß wirft Fragen für jeden einzelnen auf – wie umgehen mit entlassenen Tätern? Ist es komisch, wenn ein auf Bewährung freier, über 80 Jahre alter Mann sich launig seine Taten zurecht schwadroniert?
Ausgezeichnet als Bester Dokumentarfilm, Winner des Axel-Corti Award beim Austrian People's Education TV Award 2019, Nominee als Beste Dokumentation bei der Diagonale Österreich 2018 sowie Winner des Viktor Award beim Dok.fest München 2018.
Ist mit dem Verbüßen von – im Falle Schandls – 40 Jahren wirklich alles gesühnt? Wie verhalten, wenn ein erwiesener Gewalttäter Mantra-artig von ihm angetanen Unrecht spricht und bei seinen mehrfachen Geiselnahmen und dem mehrmaligen Schusswaffengebrauch stets Unrecht an anderen einkalkulierte? Sicher ist, Schandl hat in Österreich Zeitgeschichte- und Legendenstatus, nicht nur unter Mitgefangenen in fast allen Haftanstalten dieses Landes, in denen er einsaß.
Schandl besitzt immer noch den Charme des Handelsvertreters alter Schule, der er einmal war, und kann sich mehr denn je gewählt ausdrücken. Man muss lächeln, wenn der alte Herr mit der Mütze im Favoritener Beisl gemütlich sein Bier trinkt, und in gutem Englisch bei “I will follow him” leise mitsingt. Und in seiner kleinen Wiener Wohnung unglaublich gelenken Schrittes und ausgelassen zu dem Aussie-Song “Tie me kangaroo down sport” tanzt. Oder sich wie viele frühere Täter auf seine alten Tage dem Glauben zuwendet und Segen für sein Mahl vom Himmel erfleht. Und ein einziges Mal Regungen zeigt, wenn er dem aufgelassenen Grab des verstorbenen Bruders in Kärnten nachspürt, eine Kerze anzündet, sich aber Gefühl gleich gemurmelt wieder verbietet.
“Ich bin etwas Besonderes”, sagt Schandl einmal. In gewisser Weise. Er ist selbst im hohen Alter – 2012 wurde der heute im 85. Lebensjahr stehende gebürtige Wiener bedingt entlassen – diszipliniert und autark, dank seiner täglichen Gymnastik offenkundig fit wie viele 20-Jährige nicht. Und putzt penibel seine Wohnung. Häfen-Gewohnheit, könnte man meinen. Oder Marotten eines alten Herrn, der ein Recht auf ein unbeschwertes, eigenes Leben danach hat – wenn da nicht folgendes wäre – seine Schrullen und sein launiges Schwadronieren über üble Brutalitäten. Rund 40 Jahre hinter Gittern waren genug Zeit, sich die Taten zurecht zu argumentieren – er musste sich wehren, so Schandl, er sei ungerecht behandelt worden, andere hätten für gleiche Taten weniger “Schmalz” bekommen. Das alles steht im – filmisch hervorragend zusammengestellt und geschnitten – Gegensatz zu den fast rührenden Versuchen des alten Herren, noch einmal im Leben nach Australien zu kommen – wo er in jungen Jahren arbeitete und offenbar glücklich gewesen ist. Aber Australien will keine Touristen mit 40 Jahren Haftstrafen, das Visum bleibt ein Traum. Reue über die Taten, die zur offenkundigen Einreisesperre führten, ist bei Schandl nicht direkt zu bemerken. Der Satz “Ich habe gesühnt” kommt vor, und bei seiner Tochter habe er sich auch entschuldigt.
HINTERGRUND
Adolf Schandl hatte in den Jahren 1967 und 1968 zusammen mit seiner Freundin drei bewaffnete Raubüberfälle begangen und dabei zwei Menschen niedergeschossen. Dafür wurde er am 11. Juni 1970 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen dreifachen schweren Raubes und zweifachen Mordversuchs zu zehn Jahren schwerem Kerker verurteilt und in die Justizanstalt Stein überstellt. Im Oktober 1971 versuchte Schandl mit einem Mithäftling zu flüchten und konnte über die Anstaltsmauer ins Freie springen. Weil er sich dabei jedoch ein Bein brach, wurde er schnell wieder verhaftet. Am 4. November 1971 brach er mit zwei Komplizen aus dem Gefängnis Stein aus und lieferten sich mit der Polizei und Sondereinsatzkommandos eine Verfolgungsjagdt mit Geiselname, die Wien 3 Tage in Atem hielt. Seine beiden Komplizen kaperten einen Streifenwagen und verschanzten sich schlussendlich umringt von Polizeieinheiten in einem Wohnhaus, wo sie sich nach 72-stündiger Flucht ergaben. Schandl flüchtete alleine weiter und wurde erst Tage später am 20.11.1971 widerstandslos in der Wohnung der Mutter einer seiner Mithäftlinge verhaftet. Für die Flucht und die dabei begangenen Straftaten wurde er zu zusätzlichen 16 Jahren Haft verurteilt. 1985 wurde er vorzeitig entlassen, jedoch 1992 wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes und eines Schusswechsels mit der Gendarmerie zu 19 Jahren Haft verurteilt und abermals in die Justizanstalt Stein überstellt. Anfang Oktober 1996 wurde er wegen akuter Fluchtgefahr in die Justizanstalt Graz-Karlau verlegt.
Innerhalb weniger Wochen gelang es Schandl dort während seiner täglichen, einstündigen Hofgänge, zwei Komplizen für einen Ausbruchsversuch zu finden. Dabei handelte es sich um den Mörder und Zuhälter Peter Grossauer, sowie den palästinensischen Terroristen und zweifachen Mörder Tawfik Ben Ahmed Chaovali. Am 14. November 1996 durften aus bis heute ungeklärten Gründen die drei Männer zusammen im Anstaltsgeschäft einkaufen. Aus einem dort deponierten Plastiksack zückte Chaovali ein Messer und überwältigte zwei Wachebeamte durch Messerstiche, während sich Schandl und Grossauer auf die drei Verkäuferinnen stürzten und diese fesselten. Einem dritten Wachebeamten gelang es, seine beiden schwer verletzten Kollegen auf den Gang zu ziehen, bevor er Alarm auslöste. Chaovali band den Frauen anschließend selbstgebastelte Flaschenbomben um den Körper. Die dafür notwendige Nitroverdünnung hatte er aus der Gefängniswerkstätte entwendet. Schandl telefonierte inzwischen mit der Anstaltsleitung und forderte einen Hubschrauber sowie acht Millionen Schilling. Zugleich drohte er damit, bei Ablehnung der Forderung die Frauen zu töten und Selbstmord zu begehen, sowie bei Zeitgewinnungsversuchen die Geiseln zu foltern und sexuell zu missbrauchen. Sofort wurde die Polizei alarmiert, die wiederum das Einsatzkommando Cobra zu Hilfe rief. Einem speziell geschulten Verhandlungsleiter der Verhandlungsgruppe Süd gelang es, das Ultimatum zu verlängern, während Scharfschützen Stellung bezogen.
Nach rund neun Stunden bereiteten sich die Cobra-Beamten darauf vor, die Geiseln zu befreien und installierten spezielle Türöffnungsgeräte, was durch den Lärm eines Hubschraubers gedeckt wurde, der den Geiselnehmern gleichzeitig eine Erfüllung ihrer Forderungen vortäuschen sollte. Tawfik Ben Chaovali hörte jedoch die Beamten und beschimpfte sie durch die geschlossene Tür, während diese ihm versicherten, nur das Lösegeld zu überbringen. Nachdem Schandl die Türe geöffnet und einen Koffer voll Geld übernommen hatte, ging er zurück zu seinen Komplizen und öffnete dort den Koffer. Diesen Moment der Ablenkung nutzten die Cobra-Beamten, um die Türen aufzusprengen, Warnschüsse über die Köpfe der Geiselnehmer hinweg abzufeuern und die Täter schließlich zu überwältigen. Während des zwei Minuten und 14 Sekunden dauernden Zugriffs blieben alle Beteiligten unverletzt. Anschließend wurden die Täter einer Leibesvisitation unterzogen und unter Isolationshaft gestellt. Die Geiselnahme führte auch dazu, dass die Sicherheits- und Haftbedingungen der Justizanstalt verschärft wurden. (gekürzter Text von Wikipedia)